Peugeot

Transporter-Kult im Schweinsgalopp

WEB OR FB 2021 2 Harald List D3 Bild 3Dieses Bild schreit förmlich nach der Abwandlung eines berühmten Filmzitates: "Wo kommt Ihr her? Aus Schweinenasenhausen?" Fotos: privat/List


Die Idee, den vorne angesiedelten Motor direkt auf die Vorderachse wirken zu lassen, brach sich mit dem Traction Avant von Citroën Bahn. Noch in den 1930er Jahren übertrug der innovative französische Hersteller das Konzept auf den Bereich leichter Nutzfahrzeuge und entwickelte den legendären TUB: Transport utilitaire de type B (Nutzfahrzeug Typ B). Gemeint war der Lastbereich von 850kg, im Pflichtenheft von 1935 stand als Forderung eine seitliche Schiebetür zwecks erleichterter Ladetätigkeit und eine möglichst niedrige Bodenplatte, die zugleich Stehhöhe ermöglichen sollte.
Gebaut wurde das Fahrzeug von 1939 bis 1941 - und dann musste Citroën das Konzept auf Eis legen, um es erst mit dem "Typ H", besser als HY bekannt, wieder auferstehen zu lassen, allerdings in erheblich verbesserter Form.

Der einstige PKW-Produzent Chenard & Walker hatte bereits 1931 begonnen, in das Nutzfahrzeugsegment zu expandieren und 2- und 3,5-Tonner anzubieten. Das ging nicht lange gut, dann wurde die Firma 1936 von Chausson übernommen, einem Produzenten, an dem Peugeot wiederum grosse Anteile hielt. Mit dem Kriegsjahr 1940 wurde die PKW-Produktion eingestellt, die Situation verlangte nach Transportkapazitäten- und übrigens auch die Frankreich besetzt haltende Wehrmacht.  Eine militärische Version war als Ambulanz vorgesehen, eine zivile von SOVEL ab 1942 mit Batterien und Elektroantrieb versehen. Von diesen Sovel tauchen, wenn auch sehr selten, der eine oder andere zuweilen auf. Der Benziner des "CHT" von C+W war zweigetaktet, seine 720 cm³ erwirtschafteten immerhin 20 PS; im April 1945 wird er auf 25 PS gepuscht, die der Zweizylinder aus 1021 cm³ holt.
Der Flachschnauzer CHT wies optisch eine auffällige Verwandschaft zum TUB von Citroën auf, dasselbe giltauch für den FAVEL aus Marseille, einem weiteren elektrisch betriebenen Lieferwagen, von dem allerdings nicht viele produziert wurden.

WEB OR FB 2021 2 Harald List D3 Bild 1Ganz sicher kein "Schweinepriester", dafür Schweinenasen-Liebhaber: Harald List


Im Juni1946 wurde ein nicht mehr so eckig wirkender Anderthalbtonner von C+W vorgestellt, der CHV, nun mit wassergekühlter Ein-Liter-Maschine und 26 PS - es ging voran.
Da aber auch dieser Motor keine Wurst vom Teller zog und vor allem C+W  nicht über die finanziellen Mittel zur Entwicklung eines neuen Trieblings verfügte, entschloss man sich, von Peugeot den Motor des 202 zu kaufen, der entwickelte aus 1133 cm³ immerhin schon 30 PS. Die Typenbezeichnung 1500 bezog sich auf die vorgesehene Nutzlast.
Man blieb also en famille, gehörte doch Chausson zu Peugeot. Allerdings können sich solche Familienbande als fatal erweisen, und so war es dann auch im Fall von C+W. 1949 wurde das Vorkriegsmodell 202 eingestellt, ein Nachfolger - der 203 war ein Jahr zuvor herausgekommen. Das Triebwerk verlieh dem CP3 immerhin 32 PS - solange er denn an C+W geliefert wurde.
1950 jedoch fragte sich Peugeot, warum man C+W Motoren liefern sollte, statt die Firma, die Peugeot ja indirekt bereits gehörte, und das Auto nicht ganz zu übernehmen: als Peugeot D3A. Hintergrund: Peugeot besass mit dem DMA einen eigenen Kastenwagen, der aber einige Nachteile aufwies. Firmenstrategisch war die Übernahme besser. Und so wurde die Produktion des DMA, bzw. seit 1948: Q3A, 1950 eingestellt.
Die Zusammenführung beider Bezeichnungen scheint "D3A" zu ergeben, die Ziffer dürfte auf die Gangzahl hinweisen - der Nachfolger D4A hatte folgerichtig ein Vierganggetriebe.
Jedenfalls übernahmen der D3A und seine Nachfolger D4A sowie D4B die abgerundete Form der Karosserie des CHV, die somit knapp zwanzig Jahre bis zum Ende der Baureihe 1965 unverändert erhalten blieb.
Ein Vierteljahr lang - das letzte Quartal 1950 - gab es den Lieferwagen wahlweise als CP3 von C+W oder als Peugeot D3A, dann war die C+W-Geschichte des Kleintransporters nur noch Vergangenheit. Mit Beginn des Septembers 1955  hatten sich derart viele technische Änderungen ergeben, dass Peugeot ihn zum D4A beförderte und ihm den Motor des 403 (aber aus Gründen der Vergaserhöhe mit dem Zylinderkopf des 203!) spendierte. Hinzu kam der Konkurrenzdruck durch die1959 erschienene Estafette von Renault.
Für ein Vierteljahr - wieder ein letztes Quartal, nämlich 1959 -, kam mit dem Dieselmotor von Indenor die Version D4AD hinzu, heute äusserst selten geworden...
Mit Jahresbeginn 1960 wurden den Käufern als Benziner der D4B und als Selbstzûnder der D4BD angeboten. Fünf Jahre später war Produktionsende.
Im Prinzip war der "D" ein Modell mit teilweise fortschrittlicher Technik wie Einzelradaufhängung und Frontantrieb und in selbsttragender Bauweise, andererseits doch recht konservativ: erst 1956 fielen die ausklappenden Fahrtrichtungsanzeiger zugunsten von Blinkern weg, und erst ab 1963 bekam der Anlasser einen Magnetschalter; zuvor wurde der Anlasser per Zugstarter handbetätigt. Dieser hatte zwei Stufen, die erste zum Ausrücken ("bitte einmal kräftig ziehen!"), die zweite für den Strom.
Eigentlich war der "D" stets untermotorisiert, selbst als der Motor des 403 Einzug hielt, wurde er PS-mässig aus Gründen der KFZ-Steuer gedrosselt. Ein DMA hatte rund 60Km/h als Höchstgeschwindigkeit bei voller Ladung - und soff 18Liter, der D4B kam auf  etwa 85 Km/h und verbrauchte immer noch bis zu 14 Liter, selbst als Diesel kaum besser. Trotzdem warb bereits C+W mit der "Wirtschaftlichkeit" des Fahrzeugs.

WEB OR FB 2021 2 Harald List D3 Bild 2An der Nase sollt Ihr ihn erkennen - der namengebende Kühler.


Als Lieferwagen konzipiert, besass der "D" in den allerersten Jahren ab Werk keinen Beifahrersitz, dafür aber eine hinter dem Fahrersitz befindliche Kiste für Bordwerkzeug.  Die Abwesenheit des Beifahrers stammte noch aus der C+W-Zeit, in der keine seitliche Schiebetür vorgesehen war und die rechte Vordertür zum Laden diente. Ab Werk gab es bei Peugeot - anders als in den Prospekten von C+W - nur Kastenwagen mit einheitlicher Länge, keine Pritschen oder Viehtransporter. Das waren Sonderaufbauten. Peugeot bot ihn geschlossen oder verglast an, gern auch mit seitlicher Schiebetür, als Kleinbus mit 12 Sitzen und Mittelgang, sowie als Schulbus. Bei letzterem muss im Prospekt ein Druckfehler aufgetreten sein, man fragt sich ungläubig, wie Peugeot in dem Wagen  27 (!) Personen transportieren wollte? Außerdem gab es eine Version als Krankenwagen.
Bis zum Ende waren alle Vordertüren als Selbstmördertüren ausgeführt, bis auf den Bus, der aus unerfindlichen Gründen "normale" Türen aufwies. Unerfindlich ist aber eigentlich die Entscheidung, diesen Richtungswechsel nicht auf alle Modelle auszudehnen. Eine durchgehende Frontscheibe hat es nie gegeben, die Mittelstrebe war durchaus zeitgenössisch. Einige Ausführungen, vor allem die der Polizei, besassen versenkbare Scheiben in den Hecktüren.
Modern war hingegen die Elektrik: seit C+Ws CPV war 12V Standard - also keine 6V-Misere wie bei einem gewissen Konkurrenten...
Das Armaturenbrett ist aufgeräumt, oberhalb des Tachos liegen die Schalter, der Tacho selbst integriert rechts ein Ampèremeter und links die Tankanzeige. Das Dreispeichenlenkrad wurde relativ früh zugunsten eines Zweispeichenlenkrades aufgegeben. Eine Heizung gab es ab Werk erst seit 1961 - eigentlich sehr verwunderlich, kann es doch in Frankreichs Bergregionen schweine(nasen)kalt werden.
Diese Leichttransporter durften bei einem Eigengewicht von 1300kg  (CPV) bzw "D": 1490kg immerhin 1400kg laden; das war reichlich.  Allerdings: es hat sie nur mit Trommelbremse gegeben, die frühen Modelle sogar mit Seilzugbremen. Über die freuen sich die Liebhaber, wenn sie ein solch seltenes Objekt in einer verfallenen Scheune ausgraben. Die Seilzugbremsen sind nur in seltensten Fällen festgegammelt.
Der Wagen war seinerzeit nicht nur in Privat-oder Firmenbesitz sondern auch in der französischen Verwaltung häufig anzutreffen, bei Polizei und Gendarmerie. Bei den 68er Unruhen tauchte er als "grüne Minna" - allerdings dunkelblau - der CRS oft im Pariser Stadtbild auf. Als Modell wird er von diversen Firmen mit vielen Kriegsbemalungen angeboten - nur bei der Armee gab es ihn kaum. Das war Renault-Domäne, zumal der Konkurrent der Régie auch als Allradler verfügbar und bei der Armee dementsprechend häufig in unterschiedlichen Ausführungen anzutreffen war.
Um den Wagen herum hat sich eine lebhafte Szene gebildet, sie nennt ihn aufgrund des vorgezogenen Kühlers liebevoll nez de cochon (Schweinenase oder Schweineschnäuzchen) und bezeichnet sich selbst als 'cochonneux'. Auch in den Niederlanden wird das Auto als Exot geliebt und erhalten. Ein Exemplar hat seinen Weg vor Urzeiten nach Israel gefunden, ein weiteres nach Japan, wo sein Besitzer nach liebevoller Restaurierung mit den Zulassungsbestimmungen für historische Fahrzeuge kämpft und ihn hin und wieder per 5-Tage-Zulassung  im öffentlichen Verkehr bewegt.
Im lange Zeit französisch geprägten Nordafrika scheint kaum ein Exemplar dieses Transporters erhalten geblieben zu sein. Auf alten Postkarten taucht er vereinzelt auf. In Mitteltunesien fristet einer sein Dasein als Unterkunft für Feldarbeiter. Sein Wert wird völlig verkannt. Dieser Aspekt fällt sofort in's Auge: während der T1 von VW mit seinen Preisen in absonderliche Höhen entschwunden ist - dafür hat nicht zuletzt der Export nach Übersee und später die dortige Szene gesorgt - , bleibt der "D" unterbewertet und eigentlich nur Eingeweihten vorbehalten. Peugeot hat mit seinem Kastenwagen eben nie Überseemärkte bedient. In der heutigen Bundesrepublik hat sich der Transporter gegen den übermächtigen T1 nie auch nur ansatzweise behaupten können - mit Ausnahme des Saargebietes, wo ihn die Post verwendet hat.
Es ist diesem Grüppchen von Unverzagten zu verdanken, dass jedes Jahr ein nationales Treffen in Frankreich stattfindet, oft an den Nationalfeiertag gekoppelt, und dass möglichst viele gerettet und wieder auf die Strasse gebracht werden.

Literatur:

Patrick Negro: Les fourgons nez de cochon de mon père, CPV, D3A, D4A et D4B de Chenard & Walcker à Peugeot
ETAI (2011),  Nr.22982,  118 S., 26,70€, ISBN 978-2-7268-8978-7

Kontakte:
http://nezdecochon.forumparfait.com
https://www.facebook.com/groups/864278060295013
(Peugeot D3A D4A)